"Der Müller war am Fuchsbau. Der Müller war am Fuchsbau. Der Müller war am Fuchsbau..."
Sich selbst ständig diesen Satz vorsagend, seilte sich Herr Wipplinger als letzter Mann ins Loch ab. Noch bis vor kurzem war der Spruch "Ich hab' Angst" einer der wenigen Sätze gewesen, die er noch von sich gab. Diesen dafür jedoch unerfreulich häufig.
Samstag morgen, 9:00 Uhr. Strahlender Sonnenschein bei 18 Grad. Optimale Bedingungen für extremes Heldentum.
Wie immer sangen keine Vögel am Loch. Nur eine Gottesanbeterin - das einzige vor Ort vorgefundene Lebewesen - kam uns auf seiner Flucht vor dem Loch entgegen und ließ verlautbaren "Verdammte Scheisse - ich muss weg!".
Die beängstigende Aura des Lochs wurde dieses Mal auf einfache und effektive Weise niedergerungen: durch zügiges Einfahren und durch Beschränken der zum Nachdenken verschwendbaren Zeit auf das absolute Minimum.
Wipplinger [25 Meter abgeseilt, zwei Mal umgestiegen, 175 Meter freier Fall unterm Arsch]
Neben der inzwischen als normal zu bezeichnenden
generellen Bestürzung beim Abseilen kam der erste echte Panikschub bereits kurz vor
dem ersten Balkon, als festgestellt werden musste, dass das vorgefundene italienische
Seil leider bereits hier suboptimal eingebaut war. Dies führte spontan zu völligem
Wandverlust. Wandverlust war nicht geplant. Die Folge: Panik. Aber egal. Der Weg
ein wahrer Held zu werden muss auch mal von der Wand weg führen. Insbesondere, wenn
die drei anderen Anwärter auf ewiges Heldentum bereits außer Sicht waren.
Bereits zum vierten Mal fand man sich am Loch ein, um zumindest den Eingangsschacht endlich zu bezwingen. Alle vorhergehenden Besuche waren entweder rein informeller Natur oder scheiterten spektakulär - ausgenommen der historisch verbrieften Drei-Tages-Konopac-Mission im Zeichen des 500 Meter Seils.
Wipplinger [60 Meter abgeseilt, acht Mal umgestiegen, 140 Meter freier Fall unterm Arsch]
Ein Schwall unverständlichen Kauderwelsches
traf die Ohren, während die volle Konzentration einer im Augenblick viel zu schnellen
Abfahrt gewidmet war. Wenige Wortfetzen wurden aber dennoch verstanden: "zu weit
..., wieder aufsteigen ..., rüberschwingen". Das Wort "rüberschwingen" löste die
nächste Panikattacke aus. Adrenalinsättigung noch nicht ganz bei 100% - aber das
sollte sich schnell ändern, als erkannt wurde, dass Bremsen mit dem Rak nicht ganz
so einfach ist wie mit dem guten und sehr alten Stop. Verzweifelt mit der rechten
Hand das Seil haltend, schwang er - die 140 Meter tiefe Öffnung unterm Arsch (bei
noch immer viel zu viel Tageslicht im Schacht) - in Richtung eines ca. 150 Jahre
alten Stahlhakens. Der erste Versuch diesen zu greifen misslang. 100% Adrenalinsättigung
erreicht und kurz darauf überschritten.
Unser besonders bevorzugter slowenischer Kamerad hatte unsere Motivation bereits im Vorfeld durch diesen geglückten Satz zu steigern versucht: "Kacna dead one million years" - und genauso war das Bild vor den Augen der Helden, als diese zusammen stark schwitzend nach 4h auf dem Schuttberg am Grunde des Doms standen: Nichts von Interesse zu sehen - bis auf das von oben einfallende Tageslicht. Die vorgefundenen Knochen in der Nähe des teilweise noch intakten Kinderfahrrads in blau wurden Kühen zugeordnet, die Haare entpuppten sich als Fell eines nicht näher bestimmbaren Tieres. Auf eine eingehende Untersuchung wurde - schweren Forscherherzens - verzichtet. Wo ist Chef-Sinnierer Dr. Bunk wenn man ihn braucht?
Konopac [101 Meter abgeseilt, zehn Mal umgestiegen, 99 Meter freier Fall links und 99 Meter freier Fall rechts, auf einer 2 Meter langen aber nur 15 cm breiten Naturbrücke balancierend]
Mit Schrecken musste beobachtet werden, wie
Hr. Wolfram zu tief am Seil hinunter glitt und er - wie beim erstmaligen Schlangenschlund
Desaster - das 4 Meter entfernt liegende schmale Felsband erneut verpasste. Er glich
dies aber wieder aus, indem er vom Rak in seinen Croll wechselte und zur Umsteigestelle
aufstieg. Diesem Felsband galt es 10 Meter steil abwärts zu der Naturbrücke zu folgen,
auf der Hr. Konopac in höchster Anspannung zitterte, Gleichgewicht hielt und gerade
die elfte Umsteigestelle einrichtete.
Erstes bodennahe Ziel war - natürlich - das berühmte Sammelgrab. Jeder Kacna Held muss ein selbst erstelltes Foto dieses Meilensteins der internationalen Höhlenforschung sein Eigen nennen. Und so begab man sich zunächst nach rechts. Erster visueller Kontakt zu traurigem Sinter wurde hergestellt - genauso wie zum Höhlenboden. Schleimiger Höhlenboden führte zu vielen Stürzen und - infolgedessen - natürlich zu viel Gelächter. Schließlich kam man in bester Stimmung vor dem Grab zu liegen und fertigte das Foto an. Ab hier galt: Helden.
Konopac [135 Meter abgeseilt, zwölf Mal umgestiegen, nur mehr 65 Meter freier Fall unterm Arsch]
"Drecksseil verfluchtes!" Neu und glatt.
Das Seil sauste nur so durch den "Simple" (Anmerkung Wipplinger: Beim "Simple" handelt
es sich um eine Art "Stop" für sozial Schwache. Hier verzichtet der Hersteller als
auch der Käufer auf eine Stop - Funktion, was die zusätzliche Verwendung eines Shunts
oft notwendig erscheinen läßt), trotz Bremskarabiner ging es viel zu schnell dem
bereits sichtbaren Endknoten in 6 Metern Entfernung entgegen. Inzwischen war es anstrengend
geworden das Seil mit der Hand zu heben, die Hand reagierte bereits mit Befehlsverweigerung.
Zu allem Überfluss schwang das Seilende langsam hin und her. Einmal war es über dem
schwarzen Abgrund und dann wanderte es wieder zurück in Richtung der etwa 3 Meter
breiten steilen Geröllhalde in 65 Meter Höhe über dem Schachtgrund, welche es zu
treffen galt. Schließlich verfing sich der mitgeführte Materialsack, der einen Meter
tiefer zwischen den Beinen hing, glücklich an einer Stahlstange, die aus dem Schutt
ragte. Umsteigestelle 13 würde sich genau unterhalb des Balkons befinden - mit der
Aussicht auf 65 Meter freien Fall. Noch aber fehlte das nächste Seil. Fr. Bartos
brachte die fehlenden 75 Meter. Mit dem Seilrest an einer Sanduhr gesichert wartete
Hr. Konopac bis es eintraf. In der überhängenden, völlig glatten Wand nach unten
baute er auf etwa halber Höhe die letzte Umsteigestelle ein. Glücklicherweise waren
alle Laschen vorhanden. Mit nur 2 Meter Restseil erfolgte der erste Aufschlag auf
dem "Verbruchkegel des nie enden wollenden Heldentums".
Im Schweiße seines Angesichts hatte Extremist Wolfram des Herrn Wipplingers Canon 7D samt Stativ mit zum Schachtgrund gebracht. Unglaublich. Damit dies nicht völlig ohne jeden Sinn geschehen sei, wurde nun versucht, wenigstens ein einziges Bild damit zu gestalten. 30 Minuten später - es war noch immer kein einziges Bild entstanden - der Schrei: "Die Scheiße geht!". Nochmal 5 Minuten später schien alles OK zu sein. Ein Bild schien zumindest nicht ganz beschissen zu sein. Daraufhin blieb die 7D für den Rest der Mission zunächst friedlich am Schachtgrund liegen. Merke: Es kann sich lohnen, 200 Meter abzuseilen wenn am Höhleneingang CaveSeekers - Fahrzeuge ausgemacht werden können. Es könnten 2500 Okken in Form von Fotoausrüstung am Grund auf Abholung warten.
Wolfram [80m aufgestiegen, dreimal umgestiegen, 80m freier Fall und Herrn Wipplinger unterm Arsch]
Unerwähnt sollte eigentlich bleiben, dass
man an einigen Umsteigstellen und Standplätzen die Wahl zwischen mehreren konopac'schen
Seilen hatte. Es hieß jedes Seil wäre sicher. Dennoch musste Hr. Wolfram an der Wand
über dem Balkon Herrn Wipplinger mehrmals die weinerlich vorgetragene Frage beantworten,
welches Seil er denn jetzt zu nehmen hätte, um lebend auf den Balkon anzukommen.
In der Hoffnung das die Antwort "das rechte Seil an der Wand" richtig war, konnte
er dann ohne weitere lästige Fragen beantworten zu müssen im Rotlicht weiter aufsteigen.
Nächstes Ziel war das Erreichen des ersten Biwakplatzes in ca. 1 km Entfernung zum Schacht. Niemand rechnete ob des "Kacna dead one million years" mit irgendeiner Art von anständigem Sinter. Erwartet wurden riesige Hallen - insbesondere eine von der Größe eines (slowenischen) Fußballstadions. Doch dann bereits am Fuße des Schuttberges: schneeweißer nicht migrierter Neusinter. Nicht in übermäßigen Mengen - eher in genau der richtigen Dosis. Einige Dutzend frische, freistehende Stalagmiten auf Sand. Herrlich.
Wolfram [100m aufgestiegen, 6mal umgestiegen, 110m feier Fall unterm Arsch]
Da man primär im Loch war, um dort Held
zu werden, war es nun auch für Herrn Wolfram soweit: Der "Schwinger" im Fuchsbau
beim Aufsteigen! Es sind ca. 5 Meter an die gegenüberliegende Wand zu schwingen mit
110m unter den Eiern. Für das eigene Sicherheitsempfinden wurde zusätzlich zu den
zwei Aufstiegshilfen noch der Shunt eingebaut, sich nochmal kurz gefragt, was man
hier eigentlich mache - natürlich keine erhellende Antwort erhalten - und an die
gegenüber liegende Wand im Fuchsbau geschwungen. War im Nachhinein gar nicht so schlimm
- aber dennoch war man froh, dass dies die einzige solchermaßen zu nehmenden Stelle
im Loch war.
Ohne sich zu bücken wurden weitere Hallen erreicht. Drei Scurions waren - wie in letzter Zeit immer häufiger - nicht in der Lage die Höhlendecke oder gar alle Höhlenwände zu erreichen. Immer weiter bergauf - auf sehr rutschigem Bodenbelag. Es kam weiter zu schlimmen Stürzen - denen aber allesamt von allen anderen Kameraden keinerlei Beachtung geschenkt wurde. "Held mit Schmerzen" - geht gar nicht. "Autobahn" auch nicht.
Ohne Interesse wurde zur Kenntnis genommen, dass der Weg nun wieder vehement bergab führte. Also rutsche man hinab. Wieder Schreie, kurzes Gejammer. Und wiederholt wurden kleine Videos der Unfälle produziert. 250 Meter unterhalb der Erdoberfläche hat die Schwerkraft der Erde schließlich schon erheblich nachgelassen. Echte Unfälle sind nahezu unmöglich.
Wolfram [170m aufgestiegen, 12mal umgestiegen, 170m freier Fall und 2 Schleifsäcke a 20kg unterm Arsch]
Wenn man sich im Vorfeld bereiterklärt soviel
Material wie möglich in das Loch zu schleppen, mag das in der Theorie noch recht
aufopfernd - wenn nicht sogar heroisch - klingen. In der Praxis äußert sich dies
aber letztendlich beim Aufsteigen in immensen Agressionen, Wutausbrüchen und unchristlichem
Gefluche. Was auch nicht besser wird, wenn man noch einen zweiten Schleifsack auf
dem letzten Absatz einsammelt, der dem eigenem Körpergewicht ebenbürtig ist. Aber
Hauptsache die CaveSeekers hatten auch eine Bohrmaschine mit im Loch. Glücklicherweise
wurde diese nicht wirklich gebraucht, da der komplette Schacht mit neuen, gut gesetzten
Haken ausgestattet worden war. Die gefühlt 100kg schweren Schleifsäcke konnten den
Zug aus dem Loch dennoch nur unwesentlich behindern.
Am Biwakplatz angekommen wurde zum ersten Mal die konventionelle Fotoausrüstung ausgepackt und die Blitze den Schlampen zugeteilt. Mit gewohnt scharfen Worten wurden Befehle gebellt - doch niemand wollte auf Herrn Konopac hören. Und so wand sich Herr Wipplinger mit noch schärferen Worten an die Gemeinschaft - und schon 5 Minuten später war der Biwakplatz 9 Mal fotografiert. Leider kein einziges Mal davon in irgendeiner brauchbaren Art und Weise. Mag am Motiv gelegen haben.
Der Herr sei an dieser Stelle dafür gepriesen,
dass Hochwasser im Loch war. Sonst wäre am Biwakplatz sicher noch nicht Schluss gewesen.
50% der Mannschaft hatte weder etwas zu Essen noch zu Trinken am Start. Aber nicht
etwa um Gewicht beim Aufstieg zu sparen - nein, leider muss rapide nachlassende geistige
Leistungsfähigkeit im Alter als Begründung dafür herhalten. So verteilte Haribo-Erdbeeren-Junkie
Wipplinger ein paar seiner Schätze in homöopathischen Dosen an seine Kameraden, bevor
der Rückzug eingeleitet wurde.
Auf dem Rückweg wurde übermütig versucht
32 Bildlein zu schöpfen. Motive waren - vor allem im Makrobereich - genug vorhanden.
Die unerfreulichen Dimensionen der Hallen verhinderten erfolgreich die Ablichtung
derselben. Wider erwarten wurde das Ziel der 32 Bildlein sogar noch übertroffen:
263 Bilder. Davon mindestens 32 brauchbar.
2 Stunden später stellte sich die übliche
Unlust bei 50% der anwesenden Blitzschlampen ein. Schnell noch ein Gruppenbild -
und dann war Schicht. Nach der Schicht wurden dann tatsächlich nur noch 23 Bilder
erstellt.
Der Aufstieg gestaltete sich bis zum ersten
Balkon wie die Flucht aus der Hölle. Nicht nur für denjenigen, der gerade am Aufsteigen
war - nein auch die für, die von unten zum zusehen verdammt waren. Gleich einer Zecke
mit Helmlicht am Oberschenkel eines korpulenten Franken. Ganz, ganz klein. Etwa nach
der fünften Umsteigestelle trat dann eine Art erlösender Gewöhnungseffekt ein. Zwar
riecht man schlimm nach Schweiß und Angst, aber unbeugsamer Wille hilft dabei, dies
zu ignorieren und sich mit seinem Schicksal abzufinden. Schließlich wartet am Ausgang
das Heldenbier! Oder der alternative Helden-RedBull.
Nach 13 Stunden Hunger, Kälte und
Angst stand man schließlich um 0:00 Uhr wieder am Fahrzeug - nur in etwa
3h ausser Plan und mit der Aussicht auf eine komplett vom Hund zugeschissene Unterkunft
für die Nacht.