Es geht um rote Käfer. Den ganzen Vorabend hatte man sehr spannenden Geschichten gelauscht. Wie der Käfer angefüttert wird. Wo der Käfer zu finden ist. Wie der Käfer aussieht.
Zusammengefasst: Der Käfer muss fotografiert werden. Genauso wie ein Fluss, der beim ersten Einfall in die Dimnice nicht abgelichtet wurde. Seinerzeit konnte noch nicht professionell mit slowenischer Tropfstein-Reizüberflutung umgegangen werden. Noch wichtiger aber ist der rote Käfer. Einer der schönsten Käfer weltweit.
Vorgriff: Der rote Käfer wurde tatsächlich fotografiert. Mindestens 7 Exemplare. Allerdings nur unter Protest des Fotografen und mit den allerletzten Resten an Energie aus schlimmen F4e-Discounter-Batterien.
Kamerad sprach sinngemäß: "Rote Käfer müssen fotografiert werden. Und zwar anständig." Da Kamerad nur eher selten ungefragt und dann gleich derart ausführlich spricht, wurde diese freie Rede zum Anlass genommen, das entsprechende Loch aufzusuchen. Egal wie oft Herr Wipplinger schon dort war. Schließlich solle es um rote Käfer gehen.
So schlugen Frau Bartos, Herr Wipplinger, Herr Seeleitner, Herr Konopac, der Ire und Kamerad morgens die Augen auf und vergewisserten sich mehrfach, dass keine Studenten über Nacht ungefragt am Domizil aufgetaucht waren. Erleichtert, tiefenentspannt und ein wenig unwillig wurden Hunde, Kamerad und Material in die Fahrzeuge verbracht und mit einem kleinen Umweg zum Schlüsselmeister zur Dimnice aufgebrochen.
Intensives Studium des Herrn Wipplinger in der CaveSeekers-Bibliothek während der Anfahrt ergab, dass es sich beim roten Käfer um den berüchtigten Leptodirus Hochenwarthii handeln muss (Encyclopedia of Caves (2005) / S.46).
Endlich kam Kamerad mit dem Schlüssel mit Verlängerung an Bord. Dank verbesserter Navigation erreichten die Fahrzeuge den Parkplatz von der richtigen Seite und damit über eine halbwegs befestigte Straße. Der beim letzten Besuch befahrene Weg wurde mittlerweile zum Fußweg umfunktioniert und mit schweren Felsblöcken versperrt.
Kaum verstummten die Motoren, dröhnte eine ganz neue Lärmqualität über den Parkplatz: Zur besonderen Freude des irischen Gastes drang schlimme " " Musik aus dem Druck-BMW Herrn Wipplingers. Im Schutze des alles überdeckenden Lärms wurde nunmehr unhörbar in alle Himmelsrichtungen uriniert - ein schönes und wichtiges Ritual vor dem Höhlengang. Bei Herrn Seeleitner herrschte Unsicherheit bezüglich des wohl benötigten Materials. Mangels Antworten auf seine Fragen entschied er, einfach NICHTS mitzunehmen. Ausgenommen der eigenen Korpulenz, gekrönt mit einer Scurion.
Solchermaßen perfekt vorbereitet - gelebtes aktives Risikomanagement - folgten alle dem Kameraden auf dem kurzen Weg zum Loch - mit und angemessenem Sicherheitsabstand. Durch die in Fels gehauene Wendeltreppe kreiselte man dutzende Meter in die Tiefe bis vor ein Tor im Fels. öffnete den Verschluss und es ging weiter abwärts bis zu einem betonierten Schuttkegel und sich daran anschließenden betonierten Pfaden und Treppen.
Zuerst verteilten sich alle in den angrenzenden großen Gängen, um sich an einer Wegkreuzung kurz nach einem Stalagmitenwald wieder zu treffen. Hier ging es - und geht es wohl immer noch - hinunter zum aktiven Niveau der Höhle - zu einem Fluss. Über einen lehmig sandigen Abhang mit kleiner Klettereinlage erreichte man einen Siphon, von dem aus dem Fluss aufwärts gefolgt wurde.
Am Wasser des klaren Flusses entstanden unter wechselnden Anweisungen und Vorschlägen erste Fotos. Der Fluss selbst stellte kein echtes Hindernis dar - allerdings mussten sich die Herren ab und zu ducken, während Frau Bartos auch ganz bequem aufrecht unter den "Engstellen" hindurch passte. An einer Stelle erreichte das Wasser sogar knapp Gummistiefelhöhe.
Der Ire gab alles für das Bild und kletterte eine Böschung steil bergan, für den besten Blitzwinkel. Herr Seeleitner und Herr Konopac hielten sich vornehm zurück. Geduld muss erfahrungsgemäß für Stunden des Blitzschlampentums halten .
Kurz vor dem Endsiphon verschwandt das Wasser für eine kurze Strecke in kleinen Spalten. Nach dem Überklettern von Blockwerk erreichten die Kostümträger den begrenzenden stromaufwärtsliegenden Siphon und schauten auf die träge und ein wenig schaumige Wasseroberfläche. Ab hier ginge es nur noch unter Wasser weiter. Der Ire wurde wieder in die Wände geschickt, Frau Bartos kletterte hinterher und die Fotoorgie begann: In der Mitte des Blockwerks vor dem Siphon zwang schließlich ein schöner Sinterfluss zum sofortigen dokumentarischen Handeln.
Auf dem Rückweg drängte Frau Bartos sehr nachdrücklich auf Eile. Hatte sie sich doch dem Höhlengangvorbereitungsritual enthalten. Zurück in den fossilen Gängen trennten sich die Teilnehmer daher erneut.
Herr Seeleitner und der Ire wurden von Herrn Konopac bis ans sandige Ende eines Wurmfortsatzes geführt. Dort grub der Slowene auf der Suche nach einen Weiterweg. Zum Zeitpunkt der Befahrung ohne sichtbaren Erfolg. In der Erinnerung blieb das Schauhöhlenflair dieser Strecke: Beton, Steinmauern, Flatterbänder, schmierige Anti-Rutschmatten und alte, riesige Tropfsteine.
In der anderen Richtung gingen derweil die beiden anderen Herren bis zum 70m hohen Tageslichtschacht und gerieten aus unbekanntem Grund ins Philosophieren. Über die erarbeiteten Ergebnisse ist bis zum heutigen Tage nichts bekannt. So kann die Welt leider nicht von den wichtigen Gedanken profitieren.
Als die drei anderen Ausflügler vom ebenfalls wichtigen Wurmfortsatz zu ihnen stießen und Herr Seeleitner anständige Aufnahmen von der Situation anfertigen wollte, war es plötzlich vorbei mit der Philosophie auf Augenhöhe. Die Praxis: Herr Wipplinger blieb mit wichtigen Belehrungen "von ganz oben" im Gedächtnis, als er sich an den aus seiner Sicht unbeholfenen Fotoversuchen der Adepten 15m tiefer ergötzte und jeden ihrer Schritte und Versuche gekonnt hämisch kommentierte.
Es verwundert ein wenig, dass er dennoch höchstpersönlich eines dieser Bilder für diese Missionsdokumentation auswählte.
Auf dem Weg zurück wurden endlich die roten Käfer fotografiert. Frau Bartos hatte derweil mehrere Minuten vergebens an den Fahrzeugen gewartet und kehrte aus Langeweile in den Einstiegsschacht zurück. Dies gab Herrn Seeleitner die Möglichkeit, vom Fuß des Eingangsschachtes ein Gruppenbild der Teilnehmer auf der Wendeltreppe zu gestalten - natürlich unter den bekannt herzlichen Kommentaren des Herrn Wipplingers.
Ein wenig außer Atem erreichte das gesamte Teilnehmerfeld den Parkplatz und war froh, das Kapitel "Dimnice" nun endlich ad acta gelegt zu haben. Endgültig.