Ein Tag, der schon deshalb durchaus erwähnenswert begann, weil der alte Student voller Ungeduld und ungezügeltem Tatendrang bereits um 7:00 Uhr von unserem Gastgeber Auskunft über den, seiner Meinung nach ungenügend geplanten, Tagesablauf forderte und hierfür nicht nur dessen gesamte Familie, sondern zusätzlich noch große Teile der Nachbarschaft aufweckte.
Als die derart gestörten Schläfer nicht sofort an der belagerten Türe erschienen, zog er sich für mehrere Stunden in sein Wohnmobil zurück und schlief selbst erst einmal aus - während der noch mit geschlossenen Augen nun ins Freie wankende Herr Konopac statt einem freundlichen Morgengruß ein barsches "It's early!" entgegennehmen musste.
Vor Schreck entleerten die Haustiere von Frau Bartos spontan ihre Därme.
Hätte sich der Slowene in dieser Situation seines Schulenglisches bedient, hätte sein "It's early!" in etwa so geklungen: "Fucking krauts! Next time I will kill you and your motherfucking by slowly !"
Einige Stunden später fuhren Frau Bartos, die Tiere und Studenten , die Herren Konopac, Seeleitner, Sturm und Wipplinger in zwei Fahrzeugen gen Italien, um im Wald gleich wieder in Richtung Slowenien abzudrehen. Hier befährt der CaveSeeker regelmäßig seinen slowenischen Lieblingshöhlenweg: schnurgerade - und sehr, sehr staubig.
Die auf diesem Weg doch sehr zahlreich umherirrenden italienischen Jogger und Fahrradfahrer reagierten überwiegend mit semi-freundlichen Grüßen, kurz bevor sie für lange Zeit im Staub verschwanden...
Der Weg wurde zunehmend anspruchsvoller. Erst als er als solcher nicht mehr wahrzunehmen war, standen die Alten und die Tiere im Feld vor dem Ziel. Die Studenten blieben mit ihrem Fahrzeug etwa einen Kilometer zurück - Vorteil Konokrassmobil.
Mittlerweile hatte Herr Sturm sich in der Frage, wo und wie eingebaut wird, durchgesetzt. Er hing im Seil außer Sichtweite. Der erste Umsteiger hing etwa 4 Meter aus der Falllinie, unterhalb einer grasigen Kante. Ein Umstand, der sich beim Aufstieg rächen sollte. Wie einfach wäre ein zusätzlicher Fixpunkt noch oberhalb anzubringen gewesen, aber nein. Tradition verpflichtet. Im Angesicht des Lochs herrschte, wie stets, leichte Panik. Mitdenken wurde zusätzlich durch dramatische Diskussionen am Dolinenrand zwischen ungeduldiger studentischer Jugend und langsamen Alten behindert.
Bald war eine Ruf- oder verbindung mit Herrn Sturm nicht mehr möglich. Frau Bartos folgte Herrn Sturm deshalb erst, als die Sonne über den Bäumen hervor trat und es am Dolinenrand ungemütlich heiß wurde. Als sie den ersten Umsteiger hinter sich hatte und sich, 35 Meter tiefer, kurz oberhalb der zweiten Umsteigestelle befand, konnte mit Herrn Sturm kommuniziert werden. Wenn auch . So wurde angenommen, die Seile wären frei.
Herr Wipplinger setzte sich träge in Bewegung. Dr. Seeleitner hatte derweil schon verzichtet und argumentierte es sei wichtig, die unwiderbringlichen Momente des Heldentums, insbesondere die von Herrn Wipplinger, in HD-Video zu filmen. Die Aufnahmen wären auch zu wertvoll, um sie in der Höhle unter Umständen zu verlieren. Dank dieser intuitiv richtigen Entscheidung, hielt er das nachfolgende dramatische Ereignis fest - jedoch ohne jemals die Früchte seines tuns anderen Menschen zugänglich zu machen.
Es wählte noch nie jemand den von Herrn Sturm gewählten Weg und noch niemand hatte Steine abgeräumt. Herr Wipplinger fing aufgrund seiner stattlichen Muskulatur im Bauchbereich unfreiwillig damit an. Ein Fels - seinem Körpergewicht nicht gewachsen - brach ab und zerfiel in zwei Bruchstücke. Das kleinere Stück war kopfgroß, der andere Fels maß gut die doppelte Größe, eine Felskartoffel in Größe eines Medizinballes.
Letzterer folg in hohem Bogen in den Schacht. Das sofortige Gebrüll wurde sogar von der Seeleitnerschen Kamera aufgezeichnet, die in einem schalldämpfenden Gehäuse untergebracht war und ansonsten keinen Satz in normaler Lautstärke vermerkte. Frau Bartos erschrak zutiefst ob des Geschreis, und fürchtete, dass ihr einer von den Kameraden am Schachtkopf entgegen fiel. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass es nur ein großer Stein war, der sich in direktem Anflug auf sie befand und kein anderes, nur ihr eigenes, Leben in Gefahr war. Sie stand in der Mitte am Grund eines gigantischen Trichters, der sich in einen weiteren Schacht fortsetzte. Noch 2 Sekunden bis zum Einschlag. Der Helm sitzt.
Frau Bartos hing fest im Seil. Direkt neben ihr lag ein alter Baumstamm quer über einem kleinen Loch. Sie ließ sich zur Seite fallen und kauerte sich auf der Schulter liegend mit dem Kopf und Rumpf in den kleinen Raum unter dem Stamm. Fünf Meter über ihr befand sich eine rundliche Beule der Schachtwand. Genau diese wenigen Zentimeter retteten wahrscheinlich ihr Leben. Der Medizinball donnerte dagegen, die enorme Freisetzung kinetischer Energie ließen ihn in viele kleinere Trümmer zerplatzen, die in alle Richtungen spritzten. Ein Trümmerregen ging auf Frau Bartos nieder und traf sie an den Beinen und im Rücken. Auch Herr Sturm konnte sich weitere 40 Meter tiefer noch rechtzeitig vor den surrenden Stücken in Sicherheit bringen.
Niemand wurde verletzt. Erleichterung stellte sich nach bangen Sekunden bei allen ein. Erst als Frau Bartos bei Herrn Sturm am Schachtgrund in Deckung standen, folgte Herr Wipplinger. Sorgfältig räumte er jeden lockeren Stein zur Seite und sicherte diese in Spalten oder hinter Wurzeln. Vorbildlich!
Herr Konopac, der nächste am Start, wurde vom Alten Studenten aus der Gruppe der studentischen Jugend mit einem Funkgerät ausgestattet. In anstrengenden Gesprächen konnte er noch die übereifrigen Studenten vom Einbau eines weiteren Seiles abhalten. Die Jungen wollten unbedingt sofort in den Schacht und zudem mit der Hilti spielen. Die Steinschlaggefahr war auch aus Sicht des Herrn Seeleitner zu groß für ein zweites Seil.
An der ersten Umsteigestelle, einem uralten Spit, ein erster Funkkontakt nach oben. Der Hilti-Fanatiker durfte und sollte hier beim Abstieg einen weiteren Anker setzten. Schon an der zweiten Umsteigestelle war der Funkkontakt gestört. Auch hier wäre ein weiterer Spit nötig. Eine Anweisung nach oben war jedoch nicht mehr möglich.
Am Schachtfuß in 80 Meter Tiefe zieht eine Schutthalde steil weiter nach unten. Frau Bartos, Herr Sturm, Herr Wipplinger und Herr Konopac rutschten vorbei an einem zerplatzten und übel stinkenden Kadaver, sowie an einer großkalibrigen Granate. Um letztere gingen sie in einem möglichst großem Bogen herum, jedoch - um Energie zu sparen - quer durch den Kadaver. In einer Duftwolke, die fast alle Körperausdünstungen für die nächsten Stunden völlig ausreichend überdeckte, zog man tiefer ins Loch.
Nach einer Engstelle und weiterem steilen Abstieg folgte die erste Überraschung. An der Decke fanden sich Dutzende von Stalaktiten, die an ihrer Spitze eine Pyramide besaßen. Toll! An einem Abzweig wäre Herr Wipplinger beinahe in eine unberührte Sinterspalte gelaufen. Als Tropfsteinfetischist besitzt er einen guten Blick für unberührten Sinter. Gepaart mit schnellsten Reflexen stoppte er und drehte kurzerhand nach rechts ab - in einen engen Schluf. Herr Konopac sicherte die Stelle mit einer Steinmauer. Letztere war nach seiner Auffassung nicht zu übersehen und sollte die nachfolgende Jugend stoppen.
Am Ende des Schlufes staunten die Vier. Unberührte Topfsteinwälder zogen sich durch den Hohlraum. Herr Wipplinger, Herr Konopac und Frau Bartos, sowie Herr Sturm zogen Schuhe, Schlaz und Handschuhe aus und gingen weiter. Die Socken hinterließen keine Spuren, jedoch waren geschätzte 10 Steintropfsäue schon mit Dreck unterwegs gewesen, mehr aber nicht. Noch besteht Hoffnung den Raum retten zu können.
Geschätzte 1,5 Stunden dauerte die Fotoorgie auf eng begrenztem Raum im Wald. Eine Spur von einem dreckigen Schlaz wurde am Tropfstein gesichtet, sowie am Boden geringe Lehmspuren allerorten. Mit den nassen Socken gelang es einige Stellen zu säubern, nachdem der Dreck sorgfältig abgekratzt und sicher entsorgt wurde.
Nach dem obligatorischen Gruppenbild zog man sich an und kroch durch den Schluf zurück. Dort traf man auf die Jungen, welche gerade über den Topfstein rutschten. Nach einer Ermahnung durch die Alten übersahen sie die Konopacsche Mauer. Herr Konopac erlitt nahezu einen Herzstillstand. Nochmals bat er am Ende des Schlufes Schuhe, Schlaz und Handschuhe auszuziehen. Später stellte sich heraus, dass die Jungen der Meinung waren, den staubigen Schlaz könnte man anlassen, weil nur Alte würden tattrig herumstolpern, die studierte Jugend dagegen sich stets elegant und berührungslos bewegen. Echte Nachwuchsvereinsmeier.
Der Aufstieg verlief problemlos. In engem Abstand folgte Herr Konopac Frau Bartos nach oben, nur um unterhalb der zweiten Umsteigestelle noch unterhalb des Trichters in volle Deckung gehen zu müssen. Frau Bartos pendelte an der ersten Umsteigestelle nahezu unvermeidlich nach rechts und räumte hierbei auf 4 Meter Länge den Dolinenboden ab. Geschosse flogen an seinem Kopf vorbei, einige Querschläger trafen seinen Rücken. Spät, aber immerhin, wurde allen klar, im Schacht konnte sich nur einer bewegen. Auch war nun klar, wie der Schachteinbau hätte optimiert werden können. Das nächste Mal eben. Immerhin war der gewünschte Anker nun an der spezifizierten Stelle gesetzt, der Punkt war nun optimal.
Herr Wipplinger folgte als nächster, noch im Tageslicht. Auf die Jungen warteten die Vier weitere 3 Stunden. Es war 23 Uhr nachts, als die beiden endlich - mit einem Rucksack voller zurück an der Oberfläche waren und die Mission ein Ende fand. Man war zufrieden.